Test: Everve Sattel + Trägerhose im Bundle – wie gut funktioniert das System?
Heute werfen wir – nach längerer Sattelpause – mal wieder einen genaueren Blick auf etwas fürs Hinterteil. Ich habe ja mittlerweile schon einige Sättel und verschiedene "Sitzsysteme" getestet, aber die Neugier ist geblieben: Was gibt es da draußen noch an Ansätzen, um den Komfort auf dem Rad weiter zu verbessern?
Diesmal geht’s aber nicht einfach nur um einen neuen Sattel – ich würde eher sagen: um ein komplettes Sitzsystem. Der Everve Ezero wurde nämlich von Grund auf dafür entwickelt, mit einer polsterlosen Hose gefahren zu werden. Klingt erstmal wild? Fand ich auch. Genau deshalb wollte ich wissen, wie sich das Ganze in der Praxis anfühlt.
Mir ist die Marke Ezero schon ziemlich am Anfang meiner Radlerei mal untergekommen – ich glaube, in einem Video von EnjoyYourBike. Damals war ich allerdings noch so gnadenlos überfordert mit all dem Input aus der Radwelt, dass das Everve-System schnell wieder aus dem Fokus verschwunden ist.
Erst vor etwa einem Jahr kam es mir dann wieder in den Sinn – zusammen mit einem Gedanken, der mir beim Test des Specialized Power gekommen war: Dass sich dieser Sattel ohne gepolsterte Hose irgendwie besser angefühlt hat als mit.
Und wie das manchmal so ist: Der eine Gedanke führt zum nächsten, und am Ende habe ich bei Everve angefragt. Als ich dann gesehen habe, dass die Firma aus Albstadt kommt – also mitten aus dem Schwabenländle – hat sich sogar ein kleiner Lokalstolz breitgemacht.
Everve ist ein kleines Team aus dem Süden Deutschlands, das sich mit viel Tüftelei, Handarbeit und einem klaren Fokus auf Qualität dem Thema Sitzkomfort widmet. Statt Standardlösungen zu liefern, denken sie Sattel und Hose gemeinsam – als System.
Mehr als die Summe der Teile? Das Everve-System im Detail
Bevor wir tiefer einsteigen, sollten wir kurz das Ezero-System erklären – also warum, weshalb, wieso das Ganze überhaupt funktioniert. Wahrscheinlich hat sich der ein oder andere beim Lesen schon gefragt: Wie, eine Hose ohne Polster? Ist das nicht total unbequem?
Dazu vielleicht ein kleines Gedankenspiel: Wenn man über Sitzkomfort auf dem Rad nachdenkt, wird schnell klar, dass es nie nur an einem einzelnen Bauteil liegt. Es ist immer eine Kombination – ein Zusammenspiel aus mehreren Faktoren. An erster Stelle steht das Bikefitting. Wer schlecht sitzt, wird mit keinem Sattel und keiner Hose der Welt wirklich glücklich. Ich denke, das haben mittlerweile die meisten gelernt. Aber wenn das Setup passt – was bleibt dann?
Dann sind es vor allem drei Dinge: die Sattelstütze, der Sattel selbst und die Hose. Dieses Trio entscheidet letztlich darüber, wie bequem oder eben nicht bequem es am Ende wird.
Wenn man sich den Sattelmarkt genauer anschaut, fällt schnell auf: Es gibt zwar unterschiedliche Breiten oder Längen, aber selten wird das Fahrergewicht wirklich berücksichtigt. Dabei ist es doch logisch, dass jemand mit 65 kg anders sitzt als jemand mit 95 kg – und entsprechend andere Anforderungen an die Polsterung hat. Häufig wird dieser Unterschied über die Hose versucht auszugleichen, aber auch da gibt es Einschränkungen.
Gepolsterte Hosen sind längst nicht für alle optimal. Zwar gibt’s sie in verschiedenen Größen, aber das Polster selbst bleibt meist gleich – egal, ob man XS oder XL trägt. Und dann kommt noch dazu: Nicht jeder hat die "klassische" Radfigur. Manchmal muss man die Hose eine Nummer größer kaufen, damit sie überhaupt passt – und schon sitzt das Polster nicht mehr da, wo es eigentlich hin sollte. Ich spreche da leider aus Erfahrung.
Und generell: Das Polster ist ja nicht fest mit deinem Körper verbunden. Es kann sich beim Fahren verschieben, Falten werfen oder einfach verrutschen – und genau das beeinflusst den Komfort negativ.
Das Team von Everve hat sich genau dieser Problematik angenommen und ein eigenes System entwickelt. Einfach gesagt: Die Polsterung wandert vom Hosenboden in den Sattel – und damit ist auch das Problem eines verrutschenden Hosenpolsters direkt eliminiert. Zur Hose kommen wir gleich noch, aber zuerst zum Sattel selbst.
Im Gegensatz zu anderen Marken wie SQlab wird der Everve Sattel nicht primär nach dem Sitzhöckerabstand ausgewählt. Stattdessen basiert die Auswahl auf deinem Körpergewicht, dem Einsatzbereich (MTB oder Rennrad) und einer kurzen Einschätzung deiner Sitzposition – also ob du eher sportlich oder aufrecht unterwegs bist.
Anhand dieser Angaben wird man dann einer der vier Varianten S1 bis S4 zugeordnet. Die Modelle unterscheiden sich nicht nur in der Breite (von 132 mm bis 156 mm), sondern auch in der Polsterdicke und der Härte der Sattelschale. So soll jede*r einen Sattel bekommen, der zum eigenen Körpergewicht und zur Sitzhaltung passt.
Technische Daten (Stand 13.04.2025, laut Everve-Onlineshop)
(Der Sattel wurde mir auf Anfrage kostenlos zur Verfügung gestellt)
Preis: 200 € einzeln, 310 € im Bundle mit polsterloser Trägerhose
Gewicht: ca. 180 g in Größe S4 (Breite: 156 mm)
Streben: Carbon, leicht oval (7x9 mm)
Länge: ca. 268 mm
Varianten: Vier Modelle (S1–S4) mit unterschiedlichen Breiten, Polstersetups und Schalenhärten
Besonderheit: variables Austauschsystem der Sattelschale zur individuellen Anpassung
Wie fährt sich das Ganze?
Ich hatte letztes Jahr nochmal ein Bikefitting machen lassen, weil ich mein Gravelbike etwas sportlicher abgestimmt habe. Dabei bot sich die perfekte Gelegenheit (und ich würde das übrigens jedem empfehlen), den Sattel direkt professionell anpassen zu lassen.
Mein allererster Eindruck war ehrlich gesagt ein optischer: 156 mm Breite – das ist deutlich mehr als bei meinem SQlab 614 und auch breiter als der Gilles-Berthoud-Ledersattel, den ich mal getestet hatte. Kurz kam die Sorge auf, ob der Sattel für meinen Hintern nicht einfach zu breit ist. Ob das berechtigt war, erfahrt ihr gleich weiter unten.
Der erste physische Eindruck? Ziemlich unspektakulär – was ich bei einem Sattel grundsätzlich als positiv empfinde. Im Gegensatz zum SQlab, der den Druck sehr punktuell auf die Sitzhöcker legt, verteilt der Ezero die Last großflächiger über die gesamte Sitzfläche. Daher wird der Sattel bei höherem Fahrergewicht auch breiter: mehr Fläche bedeutet in der Theorie eine bessere Druckverteilung – also weniger punktuellen Druck und dadurch potenziell mehr Komfort.
Und ja – das bedeutet auch mehr Kontaktfläche zwischen Sattel und Hintern als bei meinem bisherigen Setup. Bei dem einen oder anderen gehen da jetzt vielleicht innerlich die Alarmglocken an, weil mehr Fläche oft auch mehr Druck auf empfindliche Stellen bedeutet. Aber genau das passiert hier nicht.
Ich habe den Ezero ab der ersten Sekunde als komfortabel empfunden – ganz ohne großes „Herumrutschen“ oder Positon-Suchen. Aber wie schlägt sich das Ganze dann draußen, auf der Straße oder im Gelände?
Ziemlich gut. Ich muss zugeben, der Sattel fühlt sich anfangs ungewohnt an – einfach weil er sich anders fährt als das, was man kennt. Aber ob in der Ezero-Hose oder in Jeans: Der Komfort ist in beiden Fällen überraschend gut. Gerade Letzteres war für mich beim täglichen Pendeln zur Arbeit ein echter Pluspunkt.
Der SQlab 614 ist mit der passenden gepolsterten Hose bequem, aber ohne Polsterung kann der gezielte Druck auf die Sitzhöcker auch schnell unangenehm werden. Der Ezero macht da keinen großen Unterschied – er bleibt bequem, egal, was man anhat. Das ist für mich ein riesiger Vorteil, gerade für alle, die ihr Rad nicht nur für Sport oder Touren nutzen, sondern auch im Alltag unterwegs sind.
Kurz zu den Hosen von Everve
Die gibt’s als Ezero-Variante ohne Polster und als sogenannte Tech Hose mit Polster, jeweils in „Low“ und „High“. Ich fahre die High-Version der polsterlosen Ezero-Hose – und die ist wirklich stark:
Der hohe Bundabschluss gibt spürbar Halt, schneidet aber nicht ein – auch dann nicht, wenn man keinen Waschbrettbauch mitbringt. Für kleine Pausen unterwegs ist der Schnitt angenehm unauffällig, und das Trägersystem sitzt verlässlich, luftig und bleibt auch auf langen Fahrten genau da, wo es hingehört.
Ich nehme es direkt vorweg: Für mich sind das die besten Fahrradhosen, die ich je getragen habe. Sie passen einfach unglaublich gut, sind funktional durchdacht und lassen keine Wünsche offen. Ich bin die ersten Wochen ausschließlich mit der polsterlosen Variante gefahren – und kann ganz klar sagen: Das System funktioniert.
Bei längeren Gravel-Strecken hatte ich am Anfang manchmal... ich will’s nicht „Schmerzen“ nennen, eher eine Art Eingewöhnungsphase für den Hintern. Aber das hat sich nach ein paar Fahrten komplett gelegt.
Warum dann trotzdem noch die Tech-Hose mit Polster?
Ganz einfach: Ich wollte wissen, ob sich der Komfort mit Polster nochmal verändert – und ob der Ezero-Sattel überhaupt mit Polsterhose funktioniert.
Spoiler: Tut er. Ohne jede Einschränkung.
Ob ich mir zwischendurch ein zusätzliches Polster gewünscht habe? Eigentlich nicht. Aber da die Hosen sehr angenehm sitzen, ist es auch kein Nachteil, die Option zu haben. Würde ich heute auf eine längere Bikepacking-Tour gehen, würde ich vermutlich beide Varianten mitnehmen – aber mehrheitlich die polsterlose Hose fahren.
Komfort mit kleinen Kompromissen?
Nicht alles perfekt – wo das System (noch) Schwächen zeigt
Bisher liest sich der Artikel vielleicht wie ein einziges Loblied – aber überzeugt das System wirklich restlos? Es gibt schon ein paar Punkte, die nicht für alle ideal sein dürften oder über die man sich vor dem Kauf im Klaren sein sollte.
Fangen wir mit dem Sattel an: Ich persönlich komme mit der Form gut zurecht und ich glaube, das wird bei vielen so sein. Aber – und das kennt jeder, der schon mal länger Rad gefahren ist – kein Hintern ist wie der andere. Was für mich gut passt, kann sich für jemand anderen komplett falsch anfühlen.
Everve bietet glücklicherweise eine 30-tägige Testphase an. Das heißt: Wer mit dem System nicht zurechtkommt, kann es zurückgeben – das ist definitiv ein Pluspunkt.
Trotzdem: Es gibt gewisse Kombinationen, bei denen das Konzept mit der ansteigenden Breite bei höherem Gewicht nicht optimal passt. Ein Beispiel: Wenn jemand ein relativ hohes Körpergewicht, aber gleichzeitig einen sehr geringen Sitzhöckerabstand hat, könnte der zugewiesene Sattel schlichtweg zu breit sein.
In meinem Fall habe ich den Sattel in Größe S4 getestet. Ich vermute inzwischen, dass mir die S3-Breite minimal besser passen würde. Meine Oberschenkel schleifen zwar nicht, aber auf längeren Touren hatte ich gelegentlich das Gefühl, leicht nach vorne zu rutschen. Kein Drama – es kommt selten vor und stört mich nicht wirklich – aber erwähnen wollte ich es trotzdem.
Was für manche ebenfalls problematisch sein könnte: Der Sattel ist aktuell nur mit Carbonstreben erhältlich (7x9 mm). Die sind zwar schön leicht und steif, aber nicht jede Sattelstütze ist damit kompatibel. Wer eine runde Standardklemmung hat, kann den Sattel unter Umständen gar nicht montieren. Eine zusätzliche Variante mit runden Titanstreben wäre hier aus meiner Sicht eine sinnvolle Ergänzung.
Ein kleiner Wermutstropfen bei der Hose
Bei den Hosen gibt es eigentlich nur einen Punkt, der auffällt – und das ist der Fahrtwind.
Wenn man bei wärmeren Temperaturen stark schwitzt, wird der Bereich rund um die Sitzfläche natürlich feucht. Bei klassischen gepolsterten Hosen fühlt man sich dann schnell wie in einer nassen Windel – das passiert mit der polsterlosen Ezero-Hose nicht. Allerdings merkt man den Luftzug dann deutlich mehr, vor allem am Hintern.
Im Sommer ist das kein Problem, eher sogar angenehm. Aber im Frühling oder Herbst kann es dort schon mal kühler werden, als man es gewohnt ist – je nach Fahrtwind und Temperatur.
Mehr als nur Komfort – Nachhaltigkeit und Herstellung
Ein Punkt, der für mich persönlich immer wichtiger wird – und bei Everve wirklich gut gelöst ist: die Herstellung. Die Hosen werden direkt in Albstadt produziert, der Sattel größtenteils in Deutschland gefertigt und in Venetien montiert. Verwendet werden Materialien aus Deutschland, Frankreich und Italien – alles hochwertig, langlebig und bewusst ausgewählt.
Auch das Drumherum passt: Die Verpackung kommt komplett ohne Plastik aus – alles wird in Papier und Karton geliefert. Das ist nicht nur schön anzusehen, sondern fühlt sich auch einfach stimmig an. Für alle, die Wert auf nachhaltige Produkte und kurze Lieferwege legen, ist das definitiv ein Pluspunkt.
Anpassung, Service & Support
Noch ein Punkt, der mir bei der Recherche und im Gespräch mit Everve positiv aufgefallen ist: Das System ist nicht starr. Die Sattelschale lässt sich bei Bedarf austauschen – wenn man also merkt, dass sich über die Zeit etwas verändert (z. B. durch Gewichtsveränderung, Sitzposition oder Nutzung), kann man die Härte oder das Polstersetup entsprechend anpassen. Auch praktisch, wenn man das Rad mit jemandem teilt.
Dazu kommt: Everve bietet ein sehr faires Crash-Replacement-Programm an. Sollte der Sattel oder die Hose bei einem Sturz beschädigt werden, kann man sie reparieren lassen oder bekommt Ersatz zu Sonderkonditionen – das finde ich richtig gut. Auch mein Kontakt mit dem Kundenservice war durchweg positiv: schnell, freundlich und unkompliziert.
Fazit
Das Everve-System ist anders – und genau das macht es spannend. Für alle, die offen sind, gewohnte Muster zu hinterfragen, bietet es eine durchdachte Alternative zu klassischen Sattel-Hose-Kombis. Der Komfort ist hoch, die Alltagstauglichkeit gegeben, und das Ganze wirkt nicht wie ein Gimmick, sondern wie ein stimmiges Gesamtkonzept.
Ist es für jeden das Richtige? Wahrscheinlich nicht. Die Passform muss stimmen, und man muss sich auf die Idee einer polsterlosen Hose einlassen. Aber wer das tut, bekommt ein cleveres System, das viele typische Schwächen klassischer Lösungen vermeidet – und das mit einem nachhaltigen Ansatz, der auch abseits vom Rad überzeugt.
Ich werde den Sattel weiterfahren – und die Hose sowieso. Und weil mich das System so überzeugt hat, werde ich mir wahrscheinlich auch noch einen für mein Rennrad holen. Das sagt, glaube ich, alles.
Ach, und wer bis hierhin gelesen hat: Es könnte sein, dass Everve an Ostern noch etwas nachlegt. Nur so viel – es bleibt spannend.